Schwarmintelligenz ist natürlich in aller Munde. Seit einiger Zeit wird den Massen der Lebewesen mehr zugetraut als ihren einzelnen Mitgliedern.

Der Ameisenstaat, der bei der Futtersuche Optimierungsalgorithmen benutzt, die als intelligent bezeichnet werden können und die der einzelnen Ameise nicht zugänglich sind. Fischschwärme, die das Risiko des Gefressenwerdens für den einzelnen Fisch minimieren, indem sie als Ganzes Bewegungen durchführen und als ein Organismus betrachtet werden können.

Solche Bilder illustrieren einerseits die Schönheit selbstorganisierender Systeme und zeigen aus informationstheoretischer Sicht andererseits, wie wenig Parameter oftmals nur notwendig sind, um optimale Lösungen für ansonsten überkomplexe Probleme zu finden.

Ein Beispiel mag das veranschaulichen. So kann keine einfache Formel eine Lösung für das bekannte „Problem des Handlungsreisenden“, nämlich die kürzeste Strecke für die Reise zu zehn Orten und Rückkehr an den Ausgangspunkt, liefern. Lediglich das Ausprobieren aller möglichen Lösungen, ein Vorgang, der mit wachsender Städtezahl schnell technisch an seine Grenzen stößt, kann eine exakte Lösung produzieren.Durch heuristische Verfahren wie Versuch und Irrtum, sprich durch Ausprobieren, kann jedoch in vergleichsweise kurzer Zeit meist eine gute (wenn auch nicht unbedingt die optimale) Lösung gefunden werden.

Bei den Ameisen funktioniert dies dergestalt, dass der schnellere Weg derjenige ist, der auf Dauer höhere Mengen eines abgegebenen Pheromons enthalten wird, weil jede Ameise diesen Botenstoff einerseits in regelmässigen Abständen abgibt und sie andererseits denjenigen Weg wahrscheinlicher wählen wird, der eine höhere Pheromonkonzentration aufweist. Wenn man sich also vorstellt, jede Ameise würde einen Pinsel mit blauer Farbe hinter sich herziehen, so ist klar, dass der kürzere Weg in der gleichen Zeit häufiger überstrichen wird, also sozusagen „blauer“ als der längere Weg wird. Die Präferenz der Ameisen für „blauere“ Wege wiederum verstärkt den Effekt zusätzlich.

Ein solches Verhalten, zu dem Systeme von Organismen fähig sein können wird mit einiger Berechtigung als „intelligent“ bezeichnet. Bei dieser Betrachtungsweise wird solchen Systemen jedoch schnell zuviel zugemutet. Im Schwarm emergieren plötzlich Eigenschaften eines „Gehirns“, womöglich noch Bewusstsein und vermeintlich bessere Business-Entscheidungen, der Schwarm prognostiziert Börsentrends und entlarvt zu Guttenberg.

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Die Warnungen des diesjährigen Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels Jaron Lanier, Schwarmintelligenz im Sinne eines „Digitalen Maoismus“ würde stets das Mediokre begünstigen, bilden die Antithese zu einem den Schwarm verherrlichenden modischen Mystizismus, wie man ihm in Wirtschaft, Technologie und nicht zuletzt in der Didaktik begegnet.

Das sprichwörtlich Dumpfe, das Ansammlungen von kognitiv individuell hinreichend ausgestatteten Lebewesen offenbar ebenso gerne präsentieren – man denkt unweigerlich an Schwärme von Fußballanhängern (oder sind es Herden?), ethnische oder religiöse Gruppen, weglaufendes Vieh oder daran, wie leichtgewichtige Anekdoten ungeprüft zu urbanen Legenden werden, stellt dabei den Ernstfall der Dummheit am überzeugendsten dar.

Soziale feedback loops treiben hier das Individuum dazu, die Bewegung der Mehrheit für die klügere als die eigene und das Kollektiv für besser informiert als sich selbst zu halten. Nicht immer eine unweise Entscheidung und biologisch langfristig häufig sinnvoll, fatal aber in etlichen Fällen, bei denen ganz offensichtlich die Gruppe die schlechtere Entscheidung trifft.

Die grundsätzliche Bereitschaft, absurde Übungen durchzuführen wird nirgendwo so fulminant deutlich wie bei der Betrachtung religiösen oder politischen Verhaltens unterschiedlichster Couleur, Kasi kollektiver Dummheit aber sind auch im Kleinen überall präsent.

Dass das Wissen hierum im kollektiven Gedächtnis, als deren Spuren Märchen ohne weiteres gelten können, in so famosen Geschichten wie „Des Kaisers neue Kleider“ abgelegt wurden, lässt aber Raum für Hoffnung: In dieser bekannten Erzählung über Meinung und sozialen Druck scheint sich der Verdacht zu bestätigen, dass das Individuum, zumal wenn noch kindlich unverfälscht, der Wahrheit zugänglicher ist, als die Durchschnittsmasse mit ihrer Durchschnittsmeinung.