Die Biologie kennt eine vergleichsweise junge Disziplin, die sogenannte Glykobiologie. Wer hier Süßes vermutet, liegt richtig. Als im Wesentlichen molekularbiologisch ausgerichtet untersucht sie die Vorgänge, die in lebenden Zellen mit dem Anheften, Modifizieren oder Ablösen von Zuckerstrukturen verknüpft sind. Die biologischen Funktionen solcher Strukturen kristallisierten sich dabei erst in den letzten Jahrzehnten heraus. Davor galten Zuckeranhänge von Proteinen oder Fetten als vergleichsweise unbedeutend. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Siegeszug der Genetik mit seinem vielleicht oft einseitigen Fokus auf DNA und Proteinen als allein seligmachenden Molekülklassen die Untersuchung der Zuckerstrukturen in Zellen wenn auch nicht verhinderte, so doch zumindest verzögerte.

Zum anderen steht den wenigsten Laboren weltweit die oftmals teure und nur von Spezialisten zu bedienende Analysetechnologie wie Massenspektrometrie, Gas- oder Hochdruck-Flüssigkeitschromatographie, Kapillarelektrophorese oder NMR-Spektroskopie zur Verfügung.

 

Bei der Entschlüsselung der Geheimnisse des Lebens geraten Zuckermoleküle immer mehr in den Fokus: Zahlreiche Prozesse in und auf lebenden Zellen werden von Zuckermolekülen gesteuert oder zumindest beeinflusst: So infizieren Grippeviren zum Beispiel nur solche Zellen, die auf ihrer Oberfläche ganz bestimmte Zuckermoleküle aufweisen. Wiederum andere Zellen identifizieren sich über die Zuckerstrukturen in ihrer Zellmembran und werden von anderen Zellen erkannt. Auch dadurch können sie schon bei der Embryonalentwicklung spezifische Funktionen ausüben oder zu bestimmten Orten im Embryo gelangen. Die Unterschiedlichkeit der Blutgruppen ist neben der dreidimensionalen Gestalt von Proteinen ebenso wesentlich auf Zuckerketten zurückzuführen. Manche Krebszellen weisen Zuckerketten auf, die sie von anderen Zellen unterscheiden. Auch wenn dabei nicht immer klar ist, ob diese Zucker ursächlich für die Gefährlichkeit dieser Krebszellen verantworlich sind, so ermöglicht das Wissen um solche Moleküle dennoch die spezifische Markierung und bietet damit therapeutische Chancen.

Ein inzwischen recht gut untersuchtes Phänomen betrifft die Haltbarkeit von Proteinen im Körper: Proteine, die im Blut zirkulieren, enthalten oftmals lange Ketten aneinandergereihter und verzweigter Zucker, die an ihren äußersten Enden eine ganz bestimmte Zuckersorte tragen. Diese schützt sie vor dem Abbau in der Leber. Werden diese schützenden Zucker nun wiederum von Enzymen im Körper abgeschnitten, verlieren sie den Schutz, weil Rezeptoren auf den Leberzellen spezifisch an die verbleibenden verkürzten Zuckerketten binden können. Die Halbwertszeit eines Proteins, somit die Verweildauer im Körper, kann durch Glykosylierung, also das Anheften von Zuckern, beeinflusst werden. Gerade diese Tatsache macht man sich nun bei biotechnisch hergestellten Medikamenten (die häufig selbst Glykoproteine sind) zunutze, indem man deren Stabilität im Körper künstlich durch die Anheftung von Zuckern an ihre äußersten Enden verbessert.