Als Mabalo Lokela, ein 44 Jahre alter Lehrer aus Yalikonde während eines Urlaubaufenthalts im Norden Zaires, heute Demokratische Republik Kongo, eines Morgens im Jahre 1976 mit Fieber aufwachte, vermutete er, dass ihn eine der üblichen Infektionen erwischt hatte, die für die diesen Teil Afrikas nicht untypisch war:
Vermutlich Malaria oder Gelbfieber, schlimmstenfalls Dengue. In jedem Fall nicht harmlos, aber kein Grund zur Panik. Diese Krankheiten waren mit Medikamenten meist in den Griff zu bekommen und mit einem gesunden Immunsystem ausgestattet, würde er sich bald wieder besser fühlen.
Er konnte nicht ahnen, dass seine Krankheit nur der Beginn einer katastrophalen Epidemie im Herzen des afrikanischen Kontinents sein würde, an deren Ende über 400 Tote zu beklagen waren und die die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zog. Ein Virus, tödlicher als alles bisher bekannten, war ausgebrochen.
Nach wenigen Tagen stieg bei Mambalo Lokela das Fieber auf über 40 Grad Celsius, er wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, neben Durchfall, Erbrechen und neuralgischen Schmerzen kamen nach wenigen Tagen Blutungen innerer Organen hinzu. Sein Körper begann sich geradezu aufzulösen und war über und über mit blauen Flecken übersäht.
Die belgischen Krankenschwestern der Missionarsklinik waren ratlos. Innerhalb weniger Tage und Wochen wich die Ratlosigkeit der Verzweiflung und schierem Entsetzen. Immer mehr Menschen im Umfeld der Krankenstation wiesen die beschriebenen Symptome auf und starben einen schrecklichen, qualvollen Tod.
Nur wenige Wochen später konnte die wahrscheinlichste Ursache der Erkrankungen geklärt werden. Ein bislang unbekanntes Virus hatte die betroffenen Menschen infiziert, es glich in seinem Aussehen unter dem Elektronenmikroskop dem erst vor wenigen Jahren entdeckten Marburgvirus, das ebenso tödlich war, aber in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich bei der Herstellung eines Impfstoffs, schon etlichen Menschen das Leben gekostet hatte.
Nach dem kleinen Fluss, an dessen Ufer die belgische Krankenstation in Yambuku lag, wurde der gefährliche Erreger Ebolavirus getauft.
Was sind Filoviren?
Ebolaviren sind Vertreter einer Filoviridae genannten Familie von Viren, die sich durch besonders lange, fädige (lat. filum = Faden) Strukturen auszeichnet. Dabei wird das sog. Nucleokapsid, also der Viruskern aus Nukleinsäuren und Hüllproteinen, noch von einer mit Proteinen durchsetzten Lipiddoppelschicht umgeben.
Unter dem Elektronenmikroskop lassen sich die Filoviren anhand ihrer speziellen Gestalt, die wegen eines ösenartig gebogenen Endes manchmal an eine Stopfnadel oder an ein Fragezeichen erinnert, eindeutig von anderen Viren unterscheiden. Wie alle Viren sind sie auf Zellen angewiesen, um sich zu vermehren.
Ebolavirus kann sich in verschiedenen tierischen und menschlichen Zellen vermehren, die Zelle in einem „Knospung“ (engl.= budding) genannten Prozess verlassen und weitere Zellen infizieren. Die Zellen werden dabei meist zerstört.
Auch andere Viren zerstören Zellen. Warum nun ist Ebola so gefährlich? Dafür gibt es mehrere Gründe. Wenn Viren, die von einem Tier auf den Mensch übertragen wurden (sog. Zoonosen), sich vermehren, sind sie alles andere als optimal an den Wirt angepasst: Dass ihre Vermehrung oftmals zum Tod des Wirts führt, ist Ausdruck dieser unvollständigen Anpassung, denn ein Virus ist nur dann langfristig erfolgreich, wenn es viele weitere Wirte infizieren kann. Ein früher Tod des Infizierten ist also gerade keine sinnvolle Überlebensstrategie für Viren. Deshalb beobachtet man häufig, dass Virusinfektionen, bei denen Viren von Tier zu Mensch übertragen wurden, entweder in einer Sackgasse enden, oder sich die Viren dem neuen Wirt so anpassen, dass eine bessere Balance zwischen Virusvermehrung und Aggressivität der Erkrankung entsteht.
Für Viren ist also nicht entscheidend, ob der Wirt krank wird, sondern die Krankheit als Folge des unter virale Kontrolle gestellten Stoffwechsels darf nicht so tödlich sein, dass der Wirt stirbt, bevor er das Virus an andere weitergeben konnte.
Bei Ebolaviren hat sich diese Balance noch nicht eingestellt. Es sind immer wieder Neuinfektionen aus dem Tierreich, die zu meist katastrophalen, aber normalerweise auch schnell eindämmbaren Epidemien unter Menschen führen.
Warum bricht Ebola aus?
In gewisser Weise sind Ausbrüche von Ebola immer noch mysteriös. Dazu trägt sicher bei, dass sie meist in Regionen Afrikas stattfinden, die dünn besiedelt und in der Nähe von Urwald gelegen sind.
Innerhalb kürzester Zeit erkrankt in diesen häufig infrastrukturell schwachen und medizinisch schlecht ausgestatteten Regionen eine große Zahl Menschen schwer. Eine enorm hohe Anzahl an Toten (bis zu 70-80% aller Erkrankten sterben) verdeutlicht die verheerende Wirkung, die eine Ebolavirusinfektion auf den Organismus hat.
Bis zum Jahre 2014 konnten die Ausbrüche zum Beispiel im Sudan oder Zaire mit vergleichsweise einfachen hygienischen Maßnahmen schnell eingedämmt werden, so dass es bislang wenig Anlass zu der Sorge gab, Ebola könne eine Gesellschaft mit intaktem hygienischem Standard bedrohen.
Im Falle des aktuellen Ausbruchs im Jahre 2014 kommen allerdings Aspekte hinzu, die wesentlich höhere Opferzahlen zur Folge hatten als bislang für möglich gehalten. Dazu mehr weiter unten.
Was genau passiert nun, wenn Zellen, insbesondere menschliche Zellen, von Ebolaviren infiziert werden?
Die Viren können offenbar eine große Anzahl von Zelltypen infizieren, z.B. Zellen der Leber oder des Immunsystems. Insofern ist Ebolavirus auch ein Immmundefizienz-Virus, allerdings eines, dass nicht langsam, wie z.B. HIV, sondern schnell tötet.
Die Zellen werden nach Entlassen der neu entstandenen Viruspartikel dabei meist zerstört. Dieser Vorgang ist jedoch auch für andere Viren typisch und erklärt z.B. nicht das hämorrhagische Fieber, das durch innere Blutungen gekennzeichnet ist.
Personen, die an Ebola sterben, entwickeln keine Antikörper. Sind sie genetisch von Menschen, die die Krankheit überleben, unterschieden, oder wird ihr Immunsystem schneller als bei anderen vom Virus lahmgelegt? Haben sie einfach das Pech, dass ihr Blut zufällig keine weißen Blutkörperchen enthält, die die Virusvermehrung eindämmen könnten?
Überlebende haben in der 2. symptomatischen Woche nachweisbare Antikörpertiter gegen das Virus. Möglicherweise könnte es eine sinnvolle Strategie sein, dass gerade solche Menschen, die also immun gegen das Virus sind, bei der Pflege von Kranken und bei der Bekämpfung der Seuche helfen können.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein hoher Anteil der Bevölkerung in Gebieten Zentralafrikas, in denen Ebolavirus-Ausbrüche bekannt sind, Antikörper gegen Ebola besitzt, aber nie an Ebolavirusfieber erkrankte. Was bedeutet das? Möglicherweise kommt es viel häufiger zu Infektionen, bei denen Menschen nicht ernsthaft krank werden, sondern das Virus in Schach halten können, z.B. weil sie über einen günstigen genetischen Hintergrund verfügen.
Woher kommen die Filoviren? Sind Filoviren in Tieren harmlos?
Menschen sind kein natürlicher Wirt der Filoviren, das heisst, die Viren müssen, um nicht auszusterben, sich in anderen Organismen vermehren. Lange blieb es rätselhaft, wo genau die Filoviren auf den Menschen überspringen. Es lag nahe, dass bestimmte Affenarten wie z.B. Schimpansen Überträger sind, doch auch wenn man Hinweise auf solche Übertragungen fand, wurde ebenfalls deutlich, dass die Affen bestenfalls Zwischenwirte sind, denn unter ihnen ist die Sterblichkeit oftmals ähnlich hoch wie beim Menschen.
Man geht davon aus, dass Affen also selbst wiederum von anderen Tieren infiziert werden müssen.
Hier gerieten immer wieder Fledermäuse und in den letzten Jahren auch Flughunde ins Visier der Forscher. Mittlerweile ist klar, dass Fledertiere sehr wahrscheinlich für das Überleben des Wirtsreservoirs vieler Filoviren verantwortlich sind.
Gleichzeitig findet man in den Tieren meist nicht das vollständige Virus, sondern nur Spuren seiner Anwesenheit wie z.B. Fragmente von Nukleinsäuren oder Antikörper gegen seine Hüllproteine. Zudem ist es experimentell äußerst schwierig, Fledertiere mit den Filoviren zu infizieren. Wenn dies bei Flughunden gelingt, werden die Tiere allerdings nicht krank.
Beides weist darauf hin, dass das Virus zum einen vom Organismus des Wirtes in seiner Vermehrung kontrolliert wird, zum anderen, dass die Wahrscheinlichkeit einer einzelnen Übertragung auf andere Tiere oder gar den Menschen sehr gering ist. Da Fledermäuse oder Flughunde aber oft in dichten Scharen von bis zu einer Million Tieren auftreten können, wird ein solches Ereignis in der Gesamtheit betrachtet wiederum wahrscheinlich. Man vermutet außerdem, dass es Phasen gibt, in denen sich das Virus in den Fledertierpopulationen stark vermehrt, aber vergleichsweise auch schnell wieder verschwindet, so dass man, wenn Filovirus-Ausbrüche unter Menschen entdeckt werden, nur noch die genannten Spuren in den Wirten findet.
Der Ausbruch 2014 in Westafrika
Der aktuelle Ausbruch von Ebola ist der erste in Westafrika und der erste, der auch städtische Regionen betrifft. Mehr Menschen als in allen zuvor bekannten Ausbrüchen zusammen wurden infiziert und starben. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für alle betroffenen Länder sind weitreichend und langfristig.
Wie konnte es zu der Epidemie kommen?
Das Virus, das die Epidemie auslöste, ist ein alter Bekannter: man nennt es Ebola-Z, eine Untergruppe der Ebolaviren, die erstmals bei dem Ausbruch 1976 in Zaire isoliert werden konnten.
Biologisch unterscheidet sich das Virus nicht wesentlich von den bereits bekannten Ebolaviren und so sind die Ursachen für die enorm hohe Anzahl an Infektionen wohl eher auf anthropologisch-soziologischer Ebene zu suchen.
Auffällig ist sicherlich, dass sich die Bedingungen für mögliche Kontakte der Menschen Westafrikas mit den gefährlichen Erregern in den letzten Jahrzehnten massiv verändert haben. In dieser Region gehören viele Länder zu den ärmsten der Welt. Raubbau an der Natur durch Rodungen haben die Wahrscheinlichkeit, dass Begegnungen zwischen Menschen und Wildtieren stattfinden, paradoxerweise erhöht.
Bislang gelangte Ebola nicht in die Städte. Das hat sich seit dem Ausbruch 2014 geändert: Mitte des Jahres 2014 wurden Menschen in den dicht besiedelten Städten Guineas und Liberias infiziert, ein worst-case-Szenario, dessen Ende auch nach der teilweise gelungenen Eindämmung noch nicht abzusehen ist.
Die Reproduktionsrate R0 des Virus in der Anfangszeit des Ausbruchs lag nach verschiedenen Angaben bei ca. 2,7, das heisst ein Patient steckt weitere 2-3 Menschen an, eine Rate die Angst machen kann, denn sie entspricht der von Viren mit hohem pandemischen Potential, beispielsweise Influenzaviren.
Ebolaviren können durch hygienische Massnahmen und durch richtiges Verhalten bekämpft werden. Traditionelle Rituale, Aberglauben, aber auch gut gemeintes Helfen bei der Versorgung von Kranken können diese Massnahmen jedoch unwirksam werden lassen und dazu führen, dass das ohnehin schwach ausgebildete Gesundheitssystem eines Landes zusammenbricht.
Nach den neusten Daten scheint es sehr wahrscheinlich, dass der aktuelle Ausbruch auf genau ein zoonotisches Ereignis zurückzuführen ist, aus einer Wildpopulation, die auch für die zwei davor stattgefundenen Outbreaks verantwortlich ist.
Damit wird zudem wahrscheinlich, dass sich das Virus von Zentralafrika nach Westafrika über Tierpopulationen ausgebreitet hat, ohne dass dabei Menschen infiziert wurden.
Als erster infizierter Mensch des gegenwärtigen Ausbruchs gilt ein 2 jähriges Kind aus Guinea, das im Dezember 2013 an Ebolavirusfieber gestorben ist.
Die Gefahr besteht, dass die Mutationsrate der Viren während der Replikation im humanen Wirt höher ist als im natürlichen Wirt, so dass gefährliche Anpassungen wahrscheinlicher werden.
Anhand der genetischen Daten ist nicht ganz auszuschließen, dass die Größe des derzeitigen Ausbruchs auch auf den speziellen Genotyp des Virusstamms und nicht nur auf anthropologisch-soziologische Ursachen zurückzuführen ist.
Eine besondere Tragik besteht darin, dass 5 der ca. 70 Autoren, Ärzte zumeist, die viele dieser Sequenz-Daten erhoben haben, ihr Leben im Kampf gegen Ebola verloren. Unzureichend geschützter Kontakt mit Körperflüssigkeiten, Versorgung von Kranken mit nur einfachen Mitteln haben hier offenbar ihren Tribut gefordert.
Aus anderen statistischen Daten geht wiederum hervor, dass ein klarer Katalog an Massnahmen einzuhalten ist, will man das Virus eindämmen. Insbesondere die Beerdigungsrituale sind als sog. superspreader Ziel dieser Maßnahmen.
Die Zukunft: Gesundheitspolitik: Prävention, Diagnostik, Therapie, Impfen
Wir wissen bislang nicht, ob der Ausbruch von Ebola in Westafrika in seiner Größe die Ankündigung einer prinzipiell neuartigen Bedrohung der Menschheit darstellt: Ein an die menschliche Zivilisation besser angepasstes Virus, das den Dschungel leichter verlässt und sich schneller von Mensch zu Mensch ausbreitet. Möglicherweise ist der 2014er Ausbruch auf die biologischen Eigenschaften des Virus bezogen jedoch nicht grundsätzlich unterschieden von anderen, lokal begrenzteren Ausbrüchen. Lediglich die Tatsache, dass das Virus aus infrastrukturellen Gründen städtische Regionen erreichte und bestimmte Bestattungsriten der raschen Eindämmung entgegenwirkten, könnte die Menschheit an den Rand einer globalen Katastrophe gebracht haben und eine hinreichende Erklärung für die ungewöhnlich große Epidemie sein.
In jedem Fall ist der Ausbruch eine Warnung und fordert international vereinte Anstrengungen, durch frühzeitige und zuverlässige Diagnostik, flächendeckende Impfungen und die Entwicklung wirksamer Medikamente, Ebola-Epidemien zu verhindern.
Die Chancen stehen gut, denn wurde die Forschung an Filoviren aufgrund der bislang kleinen Fallzahlen eher stiefmütterlich finanziert (von militärischen Projekten einmal abgesehen), besteht gegenwärtig die Chance, mit vereinten Anstrengungen von Universitäten, Industrie und internationaler Gesundheitspolitik das Verständnis der Viren und die Bekämpfung eines erneuten Ausbruchs erheblich zu verbessern.
Die Geschichte von Mabalo Lokela steht in einer Reihe mit den zahllosen Menschen, die von Viren, diesen submikroskopisch kleinen Partikeln an der Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie, im Laufe der menschlichen Entwicklung schon dahingerafft wurden, die meisten von ihnen unbekannt und kaum so spektakulär.
In den letzten ca. hundert Jahren ist das Verständnis dieser häufig äußerst gefährlichen aber nicht minder interessanten Erreger exponentiell gewachsen. Im Fall der Ebolaviren kann dieses Verständnis dazu führen, das Schlimmste zu verhindern.